Der Kern von Volkswagen ist Software – Auch für den neuen Chef

– von Jan Schwartz

Hamburg (Reuters) – Ein neuer Besen kehrt gut: Volkswagen-Chef Oliver Blume hat bereits mehrere Projekte seines Vorgängers Herbert Diess beiseitegeschoben.

Nun wendet er sich dem größten Brocken zu, der letztlich auch der Grund war, dass Diess Anfang September an der Konzernspitze abgelöst wurde: die Software-Tochter Cariad. Doch anstatt die Firma abzuwickeln und ihre Aufgaben auf die Fahrzeugmarken zu verteilen, was einige Manager in Wolfsburg erwartet hatten, rückt Blume Cariad ins Zentrum. Künftig soll sich der weltumspannende Konzern nach dem Fahrplan der Software richten, der gemeinsam mit den Marken entwickelt wird. Alle sollen an einem Strang ziehen, lautet Blumes Credo. Für den Autobauer, der unter Diess oft durch Streit zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen auffiel, wäre das neu.

Damit treibt Blume die Vision von Diess eines software-basierten Unternehmens weiter voran, will sie sogar schneller umsetzen. “Zunächst geht es um die Software und den Realitäts-Check dort”, beschreibt eine mit den Plänen vertraute Person das Vorhaben. “Dann muss man die Software auf die Produkte umlegen. Beides muss zueinander passen.” Es werde nun in recht kurzer Zeit fixiert, was in den Jahren davor nicht entschieden worden sei.

Eckpunkte seiner Strategie und die Neuordnung der Fahrzeug-Plattformen will Blume am 15. Dezember im Aufsichtsrat präsentieren. Das Thema dürfte auch in seiner Rede vor den Aktionären eine Rolle spielen, die am nächsten Tag im City-Cube in Berlin zusammenkommen, um über die Sonderdividende aus dem Börsengang der Porsche AG zu entscheiden. Die Sportwagentochter, deren Chef Blume in Personalunion ist, ist inzwischen in den Dax aufgestiegen. Auf einer Tagung in der Woche danach (20. Dezember) will Blume die Neuausrichtung dem Management erläutern.

Unter Diess sei das oft anders gewesen, sagt ein anderer Insider. Der frühere BMW-Manager habe hochfliegende Ziele verkündet, sich aber wenig um die Umsetzung gekümmert. Damit kam Volkswagen nicht wie erhofft voran und drohte letztlich den Anschluss an Tesla zu verlieren. Dennoch genießt Diess in Wolfsburg Anerkennung. Er hat den als schwerfällig geltenden Tanker Volkswagen in Richtung E-Mobilität geschoben. Dabei ging ihm vieles nicht schnell genug. Manager, von denen er unternehmerisches Denken verlangte, waren überfordert. Blume pflegt einen anderen Ton. Er will den Konzern einen und Kräfte bündeln. Von seinem Image als nahbarem Manager, der intern “Olli” genannt wird, sollte sich aber niemand täuschen lassen, sagt einer, der ihn gut kennt. “Blume weiß genau, was er will. Und er kann es notfalls mit Härte durchsetzen.”

VIRTUELLE BÖRSENGÄNGE DAS NEUE JIN UND JANG

Die von Blume angestoßenen virtuellen Börsengänge haben denn auch zwei Ziele: Einerseits sollen sie die Marken auf ihren Kern fokussieren, indem sie imaginären Investoren eine Börsen-Story präsentieren. Andererseits erhalten sie dadurch ehrgeizige Renditeziele, von denen Volkswagen insgesamt profitieren soll. Ein von oben verordnetes Sparprogramm zur Renditesteigerung wird dadurch überflüssig. Die Marken setzen sich selbst unter Druck.

Kritiker sehen die Trockenübungen für einen Gang aufs Börsenparkett gar als Vorbereitung für eine spätere Aufspaltung des Konzerns. Denkbar wäre, dass Volkswagen Marken verkauft und Volkswagen als Holding übrig bleibt, sagt ein Brancheninsider.

Ob Blumes Pläne so weit reichen, ist nicht bekannt. Nun werden erstmal die von Diess aufgesetzten Projekte gestreckt. Absehbar ist bereits, dass die sogenannte Einheitssoftware 2.0, mit der nach ursprünglichen Plänen das neue Flaggschiff “Trinity” ab 2026 autonomes Fahren nach Level 4 erhalten sollte, ans Ende des Jahrzehnts geschoben wird. Konzernkenner vermuten einen Start im Jahr 2028. Mit der Verschiebung steht die für gut zwei Milliarden Euro geplante Trinity-Fabrik in Wolfsburg auf der Kippe. Das letzte Wort ist in der Sache noch nicht gesprochen. Blume lässt das Vorhaben von der Marke VW prüfen.

Markenchef Thomas Schäfer sagte bei einer Veranstaltung von zwei Wolfsburger Zeitungen: “Wir wissen bis Ende Januar/Anfang Februar, welche Fahrzeuge in welche Werke kommen, welche Plattformen dort zugeordnet sind.” Eine Vorentscheidung gebe es nicht.

Die Tochter Cariad soll durch die Verschiebung Zeit bekommen, um die Einheitssoftware zu entwickeln. Die Software-Architektur 1.2, von der wichtige Modelle wie der Porsche e-Macan und der Audi Q6 e-tron abhängen, soll laut einem Insider im nächsten Jahr starten und danach weiterentwickelt werden. Die Version 1.1, mit der die Modelle der ID-Familie unterwegs sind, soll durch Updates aktuell gehalten werden. Das “Handelsblatt” berichtete, um die beiden vorhandenen Software-Architekturen für die zweite Hälfte des Jahrzehnts wettbewerbsfähig zu halten, müsse gut eine Milliarde Euro zusätzlich investiert werden. Volkswagen äußerte sich dazu nicht.

Wegen der Überarbeitung der Pläne hatte der Vorstand die für Anfang November angesetzte Investitionsplanung und die Belegung der Werke verschoben. Die Beschlüsse dazu will der Konzern Anfang nächsten Jahres fassen. Geplant ist, dass Blume die Investoren auf einem Kapitalmarkttag gegen Ende des zweiten Quartals informiert. Bis dahin wird auch das Ergebnis der virtuellen Börsengänge erwartet.

(Mitarbeit von Victoria Waldersee; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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