Verfassungsschutz warnt Firmen vor chinesischer Dominanz

– von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – Der Verfassungsschutz warnt die deutsche Wirtschaft vor einer naiven Haltung gegenüber China, die für den Industriestandort existenzbedrohend sein könnte.

“Wir haben eine Vielzahl von Fallbeispielen, in denen eine vielleicht höchst optimistische und zu positive Haltung hinsichtlich der Handelsbeziehungen zu China dazu geführt hat, dass sich diese Unternehmen praktisch aufgelöst haben”, sagte der Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Sinan Selen, am Mittwoch auf einer Veranstaltung für Wirtschaftsunternehmen in Berlin. “Das droht auch Ihnen”, fügte er hinzu und forderte einen realistischeren Blick auf China. Kanzler Olaf Scholz sagte mit Blick auf die Verhaftung mutmaßlicher Spione für China, dass die Sicherheitsbehörden wachsam sein müssten.

Die Debatte über die Sicherheit der Wirtschaft war in den vergangenen Tagen durch Berichte über einen umfassenden Cyberangriff auf den VW-Konzern sowie vier Festnahmen wegen Spionageverdacht für China und die China-Reise von Scholz wieder aufgebrandet. Einer der Verhafteten war ein Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah. Auch Selen verwies auf die Verhaftungen, nannte aber keine weiteren Details. Scholz nannte den Fall “sehr, sehr, sehr besorgniserregend”. Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte nach einem Gespräch mit Scholz und mit Blick auf Festnahmen mutmaßlicher Spione für China in Großbritannien, dass der National Security Act Polizei und Sicherheitskräfte neue Mittel an die Hand etwa gegen Spionage an die Hand gebe.

Der Verfassungschutz-Vize verwies darauf, dass die kommunistische Regierung “mit legitimen und illegitimen Mitteln (…) die wirtschaftliche, technologische und politische Weltführerschaft bis zum Jahr 2049” verfolge. Die Regierung in Peking wolle China einerseits international unabhängiger machen, aber andererseits wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten für andere schaffen. Besonderes Interesse gelte den Bereichen Luft- und Raumfahrttechnologie, Automatisierung, Robotik, Energieeinsparung und Elektromobilität, Informations- und Kommunikationstechnologie, Biomedizin und Medizin-Geräte. Firmen müssten immer mitdenken, dass hinter chinesischen Partnern auch der Staat und ein anderes Rechtssystem stehe. Mittlerweile seien mehr als 5000 deutsche Unternehmen in China tätig.

Der Verfassungsschutz wolle sich verstärkt um die chinesischen Aktivitäten bei Ausgründungen aus Universitäten und Startups kümmern, kündigte Selen an. Denn man sehe, dass China über Forschungskooperationen im zivil-militärischen Bereich Technologien erhalten wolle, die man auch militärisch nutzen könne. “Eine Vielzahl von Universitäten ist darauf ausgerichtet, genau diese zivil-militärische Fusion zu betreiben”, sagte er.

SELEN – KEIN WIDERSPRUCH ZU SCHOLZ-CHINA-REISE

Es sei kein Widerspruch, dass man versuche, Risiken zu minimieren und es dennoch eine bilaterale Handelsbilanz von 253 Milliarden Euro im Jahr 2023 gegeben habe und Kanzler Scholz nach China reise, sagte der Verfassungsschutz-Vizepräsident. Der Verfassungsschutz habe aber die Rolle, vor allem auf die Sicherheitsrisiken zu verweisen. Alexander Borgschulze, Vorsitzender der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) mahnte an, dass sich die Firmen wappnen müssten. “Der Technologiestandort Deutschland ist (…) zunehmenden Risiken durch Wirtschafts- und Industrie-Spionage ausgesetzt”, warnte er und verwies auf eine zunehmende Cyberangriffe. Die chinesische Botschaft in Deutschland hat im Zusammenhang mit den Festnahmen den Vorwurf der Spionage zurückgewiesen. China hatte in der Vergangenheit auch dementiert, dass es hinter Cyberangriffen stecke.

Der China-Experte im Auswärtigen Amt, Alexander Roth, verwies auf die China-Strategie der Bundesregierung, die das Land sowohl als Partner, Konkurrent und systemischen Rivalen sehe. Die dritte Rolle nehme an Bedeutung zu. Scholz hatte auf seiner China-Reise, auf der er von einer Wirtschaftsdelegation begleitet wurde, vor einer Entkoppelung der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaften der Welt gewarnt und auf faire Wettbewerbsbedingungen gepocht. Der Kanzler hatte zudem betont, dass deutsche Firmen ihren Kurs fortsetzen müssten, die Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu reduzieren, ohne aber das Geschäft in China aufzugeben. Dafür seien verstärkte Investitionen in anderen Staaten nötig.

(Mitarbeit: Sarah Marsh; redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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