Wirecard-Chefbuchhalter redet eigene Rolle bei Fälschungen klein

München (Reuters) – Der frühere Chefbuchhalter von Wirecard bestreitet eine maßgebliche Rolle bei den mutmaßlichen Bilanzfälschungen des vor vier Jahren pleitegegangenen Zahlungsabwicklers.

“Ich wusste zu keinem Zeitpunkt von den Fälschungen. Ich bin davon ausgegangen, dass es stimmt”, bekräftigte Stephan von Erffa am Montag vor dem Landgericht München I. “Wir buchen das, was uns bestätigt wird.” Er habe die fehlenden oder verzögerten Geschäftszahlen aus dem Geschäft mit Drittpartnern in Asien auf die chaotische Arbeitsweise des Wirecard-Statthalters in Dubai, Oliver Bellenhaus, zurückgeführt: “Meine Annahme war die Chaotik von Herrn Bellenhaus.”

Der mitangeklagte Bellenhaus tritt bei dem Prozess um die Pleite von Wirecard als Kronzeuge auf. Er hatte ausgesagt, er habe auf Geheiß von Erffas “Wunschzahlen” aus dem Asien-Geschäft an die Konzernzentrale in Aschheim bei München geliefert. Dafür habe Bellenhaus keinerlei Beleg erbracht, erwiderte von Erffa in seiner Aussage am Montag. Es habe keinen Raum für Wunschzahlen gegeben. Er habe die vorläufigen Zahlen für das Asien-Geschäft “hundertmal” bei Bellenhaus angemahnt. Die Antwort sei “meistens ein vertröstendes ‘kriegst du, kriegst du'” gewesen.

Das Asien-Geschäft, das dem seit vier Jahren flüchtigen Vorstand Jan Marsalek unterstand, lieferte vor der Pleite im Juni 2020 den Löwenanteil der Umsätze und Gewinne von Wirecard. Die Einnahmen daraus wurden dem Unternehmen zufolge auf einem Treuhandkonto geparkt, das zuletzt 1,9 Milliarden Euro schwer war. Als sich das Geld als nicht existent entpuppte, brach Wirecard zusammen.

Dass alle drei angeblichen Partner in Asien gleichermaßen nicht oder nur verspätet gemeldet hätten, habe ihn nicht gewundert, sagte von Erffa auf Vorhaltungen von Richter Markus Födisch. Er sei davon ausgegangen, dass Bellenhaus die Zahlen hätte anfordern müssen, “und wenn das nicht angestoßen wurde, kam nichts”. Zum Teil habe Bellenhaus die Daten über den Messaging-Dienst Telegram geschickt, zum Teil als Screenshots aus seinem Computersystem über Filesharing-Plattformen. Oft seien ihm die Zahlen aus Asien, die in die vorläufigen Quartalsmeldungen von Wirecard einflossen, auch nur mündlich übermittelt worden – aber sie seien vorgelegen, er habe sie nicht gefälscht.

An einer Stelle hatte von Erffa eingeräumt, fehlende Abrechnungen “nacherstellt” zu haben. Von einer Fälschung könne man nicht sprechen. “Es ist falsch, was Sie sagen”, erwiderte Richter Födisch. “Sie versuchen, Ihre Aussage in eine andere Richtung zu drehen.” Der gelernte Landschaftsbauer und studierte Wirtschaftsingenieur hatte seit 2005 bei Wirecard gearbeitet und war in der Buchhaltung immer weiter aufgestiegen. Zuletzt hatte er 750.000 Euro im Jahr verdient.

Von Erffa war seit Beginn des Prozesses von drei Gutachtern beobachtet worden, die seine Schuldfähigkeit prüfen sollten. Sie waren aber zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte psychologisch nicht auffällig sei. “Ich selbst würde mich nicht als krank bezeichnen”, sagte von Erffa am Montag. Er habe das Gutachten auch nicht in Auftrag gegeben. Seine Gutgläubigkeit sei ein Wesenszug: “Ich glaube an das Gute im Menschen.”

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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