Nestle-Chefwechsel wirft viele Fragen auf – Aktie sackt ab

Zürich (Reuters) – Der ungewöhnlich hastige Chef-Wechsel bei Nestle hat für Verunsicherung bei den Anlegern des Nahrungsmittelriesen gesorgt.

Der neue starke Mann bei Nestle, Laurent Freixe, muss nun Vertrauen zurückgewinnen. Der 62-jährige Franzose will das Wachstum ankurbeln und Marktanteile gewinnen. “Das bedeutet, dass wir in unsere Marken investieren, das bedeutet, dass wir in unsere Wachstumsplattformen investieren, und der Schwerpunkt wird darauf liegen, das aktuelle Portfolio vor allem durch organisches Wachstum voranzutreiben”, erklärte Freixe.

An der Börse verloren die Nestle-Aktien, die sich seit 2022 bereits enttäuschend entwickelt hatten, am Freitag in der Spitze weitere knapp vier Prozent. “Wir tun uns schwer mit diesem plötzlichen Führungswechsel bei Nestle”, erklärte Bernstein-Analyst Bruno Monteyne. Der Schweizer Hersteller von Nespresso, Maggi und KitKat hatte am Donnerstagabend überraschend angekündigte, dass Konzernlenker Mark Schneider Nestle nach acht Jahren verlässt und am 1. September durch den Firmenveteranen Freixe abgelöst wird. Nach Einschätzung von Monteyne dürfte Schneider, der noch vor zwei Jahren als bester CEO der Branche gegolten habe, nicht aus freien Stücken gegangen sein. Sein Abgang werfe viele Fragen auf. Einem Analysten zufolge setzten die Anleger ein Fragezeichen hinter die Finanzziele für das laufende und das kommende Jahr. Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke wollte sich dazu nicht äußern.

Nestle nannte auch keinen klaren Grund, wieso der frühere Chef des deutschen Medizintechnikkonzerns Fresenius nach rund acht Jahren den Hut nahm. Die Aktienkursentwicklung deutete allerdings darauf hin, dass die Anleger Vertrauen in den Konzern aus Vevey am Genfersee verloren hatten, der eigentlich für seine Wetterfestigkeit bekannt ist. Ende Juli dampfte Schneider die Wachstumsprognose ein. Wie andere Konsumgüterhersteller drehte auch Nestle an der Preisschraube, um Mehrkosten für Rohstoffe weiterzureichen. Nach fast drei Jahren mit Preiserhöhungen, die die Lebenshaltungskosten weltweit nach oben trieben, gelang es Nestle immer weniger, die Verbraucher bei der Stange zu halten. Diese greifen zunehmend zu günstigen Produkten.

Verwaltungsratspräsident Bulcke deutete an, dass Schneider zuwenig für das Marketing der Produkte unternommen habe. Tatsächlich hatten sich Rivalen wie Danone und Unilever in den vergangenen Quartalen besser entwickelt. Nestle unterhält mehr als 2000 Marken, von Hundefutter über teure Mineralwasser bis hin zu Säuglingsnahrung. Einer mit der Situation vertrauten Person zufolge büsste Schneider auch intern an Rückhalt ein.

KRITIK AUCH AN BULCKE

Richten soll es nun Freixe, der in verschiedenen Funktionen seit 1986 bei Nestle ist. “Eine Qualität, die man braucht, ist jemand, der einen guten Draht zur Basis hat und da rausgeht und die Truppen anspornt”, sagte Bulcke. Helfen dürfte ihm dabei, dass er im Gegensatz zu Schneider auf eine langjährige Marketingerfahrung zurückblickt. Auch andere Konsumgüterhersteller wie Danone oder dem Schweizer Edelschokoladehersteller Lindt&Sprüngli würden von Verkaufsexperten geführt, erklärte Jean-Philippe Bertschy von der Bank Vontobel. Dennoch werde Nestle seine Probleme nicht kurzfristig lösen können. Der Konzern müsse seine Marken wieder in Schwung bringen, um Marktanteile zurückzugewinnen und die Effizienz weiter zu steigern. Nach der Ernennung eines Konzernchefs und in den Monaten davor des Europa-Chefs und der Finanzchefin seien weitere Wechsel im Top-Management möglich, so Bertschy. Sein Kollege Patrik Schwendimann von der Zürcher Kantonalbank würde es nicht überraschen, wenn Nestle die Gesundheitssparte, wo Schneider mit milliardenschweren Übernahmen keine glückliche Hand hatte, mittelfristig verkaufen würde.

Philipp Buchli von der Anlagefirma Hindsight Capital kritisierte auch Bulcke, der strategische Fehltritte mitgetragen habe. Zudem habe er mit der Neubesetzung der Firmenspitze zu lange gewartet und präsentiere jetzt eine mutlose Wahl. Freixe könne nur eine vorübergehende Lösung sein. “Bulcke ist Teil des Problems.”

(Bericht von Oliver Hirt und John Revill, Mitarbeit Marleen Käsebier. Redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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