Braunschweig (Reuters) – Die juristische Aufarbeitung des Dieselskandals bei Volkswagen geht mit dem Strafprozess gegen den langjährigen Vorstandschef Martin Winterkorn in die nächste Runde.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 77-Jährigen gewerbsmäßigen Betrug, Marktmanipulation und uneidliche Falschaussage vor. Winterkorn habe seit Mai 2014 davon gewusst, dass Dieselautos des Wolfsburger Herstellers in den USA nicht den Vorgaben entsprochen hätten, sagte Staatsanwalt Andy Belke am Dienstag bei der Verlesung der Anklageschrift. Ab 2015 sei ihm klar gewesen, dass das auch für Fahrzeuge in Europa gelte. Winterkorn habe die Auslieferung der Autos nicht gestoppt und damit die Käufer getäuscht.
Winterkorn wies die Vorwürfe erneut zurück. Weder sei er der “Hauptangeklagte” noch der “Hauptverantwortliche” des Themas “Diesel” bei Volkswagen, erklärte Winterkorn über seinen Anwalt Felix Dörr vor Prozessbeginn. Allein seine Stellung als damaliger Vorstandsvorsitzender des Autokonzerns rechtfertige nicht, ihn für das Thema Dieselmotoren in allen seinen Facetten verantwortlich zu machen. “Unser Mandant hat nicht betrogen und niemanden geschädigt, er hat den Kapitalmarkt nicht gezielt im Unklaren gelassen, so dass Anleger geschädigt würden, und er hat auch gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht die Unwahrheit gesagt.”
In dem Verfahren sind drei Anklagen zusammengefasst: Das Verfahren wegen Betrugs, ein Verfahren wegen Marktmanipulation sowie ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage vor einem Bundestags-Untersuchungsausschuss. Dort habe Winterkorn wiederholt erklärt, er habe “nicht vor September 2015” von den Manipulationen gewusst, sagte Staatsanwältin Isabell Ohlms. Bei einer Verurteilung wegen bandenmäßigem Betrug drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
Eigentlich sollte sich Winterkorn zusammen mit vier anderen VW-Managern schon 2021 vor Gericht verantworten. Das Verfahren gegen ihn wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt. Inzwischen habe sich seine Gesundheit jedoch soweit verbessert, dass er in der Lage sei, sich zu verantworten, sagte ein Gerichtssprecher. Vor allem orthopädische Probleme machten ihm zu schaffen. “Heute geht’s mir ganz gut”, sagte Winterkorn vor Betreten des Gerichtssaals, gekleidet in einen dunkelblauen Anzug und in Begleitung seiner Anwälte. Weitere Aussagen lehnte er ab. Das Gericht unter dem Vorsitz von Johannes Mühe hat in dem Prozess vorerst 89 Termine angesetzt.
Volkswagen hatte 2015 auf Druck der US-Umweltbehörde EPA zugegeben, Diesel-Abgaswerte durch eine Software manipuliert zu haben. Diese sorgte dafür, dass die Motoren die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand zwar einhielten, auf der Straße aber ein Vielfaches dieser giftigen Abgase ausstießen. Winterkorn musste seinen Posten abgeben. Der Skandal löste eine Vielzahl von Prozessen aus. Im Juni 2023 wurde der frühere Chef der Volkswagen-Tochter Audi, Rupert Stadler, vom Landgericht München zu einer Bewährungsstrafe und einer millionenschweren Geldauflage verurteilt.
(Bericht von Christina Amann, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)