Siemens zahlt zehn Milliarden Dollar für US-Softwarefirma Altair

– von Alexander Hübner

München (Reuters) – Siemens stärkt sein Geschäft mit Software für die Industrieautomatisierung mit der zweitteuersten Übernahme der Firmengeschichte.

Der Münchner Technologiekonzern schluckt die US-Industriesoftwarefirma Altair Engineering für mehr als zehn Milliarden Dollar, wie die beiden Unternehmen am Mittwochabend mitteilten. Die Aktionäre von Altair erhalten 113 Dollar je Aktie, das entspricht einer Börsenbewertung von 10,6 Milliarden Dollar. Vorstandschef Roland Busch sprach von einem “bedeutenden Meilenstein für Siemens”. Er kann damit den Anteil von Software in der zuletzt schwächelnden Sparte Digital Industries (DI) erhöhen, die sich mit der Steuerung von Maschinen und Anlagen sowie der Planung der Produktion befasst.

Börsianer nahmen die Übernahme gelassen: Die Siemens-Aktie gab am Donnerstag um 0,3 Prozent auf 178,84 Euro nach. “Alles in allem scheint das für Siemens ein guter Deal zu sein”, sagte ein Händler, auch wenn der Preis recht hoch sei. Er liegt 19 Prozent über dem Altair-Aktienkurs, bevor die Nachrichtenagentur Reuters vor einer Woche über Verkaufspläne für das Unternehmen berichtet hatte. Mehr hat der 175 Jahre alte Konzern bisher nur für den US-Krebsbehandlungs-Spezialisten Varian gezahlt, den sich die Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers 16,4 Milliarden Dollar kosten ließ – finanziert überwiegend durch die Siemens AG.

“Diese strategische Investition steht im Einklang mit unserem Engagement, die digitale und nachhaltige Transformation unserer Kunden durch die Verbindung der realen und digitalen Welt zu beschleunigen”, sagte Busch. Er hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Software-Geschäft in der Automationstechnik und darüber hinaus auszubauen. Zu den zuletzt sechs Milliarden Euro Digital-Umsatz kommen mit Altair rund 600 Millionen Euro (650 Millionen Dollar) hinzu, bei einer operativen Umsatzrendite von 21 Prozent. Siemens rechnet mit 150 Millionen Euro Einsparungen und sieht mittel- bis langfristig die Chance, mit Hilfe von Altair bis zu eine Milliarde Dollar mehr Umsatz zu machen, wenn man den Siemens-Kunden auch die Produkte der Amerikaner verkaufen kann.

DEM MARKTFÜHRER PAROLI BIETEN

Mit Altair könne Siemens Künstliche Intelligenz (KI) in das Design und die Simulation von Produkten und Produktionsprozessen integrieren. Mit der Siemens-Software lassen sich Prozesse virtuell abbilden – als “digitaler Zwilling”. Analyst Alexander Wahl von Stifel schätzt, dass Altair in dem Bereich die Nummer vier weltweit ist und mit einem Marktanteil von sechs Prozent hinter Siemens liegt. Zusammen könnten sie dem Weltmarktführer Ansys – der gerade vor dem 35 Milliarden Dollar schweren Verkauf an Synopsys steht – besser Paroli bieten, sagte Jefferies-Analyst Simon Toennessen. Wie Siemens sei auch Altair in der Autoindustrie stark vertreten, schrieb Wahl.

Zuletzt hatte die Sparte DI – lange das Aushängeschild von Siemens – mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen, weil die Konjunktur in China schwächelt. Finanzvorstand Ralf Thomas hatte kürzlich in einem Interview gesagt, Siemens wolle in dem Bereich in den USA stärker Fuß fassen. Der Markt für Industriesoftware wird auf 21,5 Milliarden Dollar veranschlagt und soll in den kommenden Jahren um 17 Prozent im Jahr wachsen.

Altair war vor fast 40 Jahren in Detroit gegründet worden und beschäftigt heute in Troy im Bundesstaat Michigan rund 3500 Mitarbeiter, davon rund 1400 in der Forschung und Entwicklung. Seit dem Börsengang 2017 ist Altair im Schnitt um 14 Prozent pro Jahr gewachsen und zählt 16.000 Kunden. Im abgelaufenen dritten Quartal hat Altair den Umsatz um 13 Prozent auf 151,5 Millionen Dollar ausgebaut. Geführt wird die Firma von ihrem Gründer James Scapa, dem mit dem Verkauf seines Aktienpakets ein Milliardenerlös winkt.

AUCH DIE FLUGHAFEN-LOGISTIK IST VERKAUFT

Finanzvorstand Ralf Thomas deutete an, dass Siemens den Kauf aus eigener Kraft stemmen wolle, ohne neue Schulden. Die starke Bilanz biete Finanzierungsmöglichkeiten, nicht zuletzt nach dem Verkauf der als “Portfolio Companies” bezeichneten Rand-Sparten, der insgesamt mehr als sieben Milliarden Euro einbrachte. Als letztes dieser Unternehmen brachte Siemens nun die Flughafen-Logistik-Sparte an den Mann, die Gepäckbänder und Luftfracht-Sortieranlagen produziert. Der niederländische Weltmarktführer Vanderlande, der zu Toyota Industries gehört, zahlt 300 Millionen Euro dafür.

Thomas verwies auch darauf, dass sich weitere Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen zu Geld machen ließen. Siemens gehören 17 Prozent an seiner ehemaligen Energietechnik-Tochter Siemens Energy und 75 Prozent an Siemens Healthineers.

(Bericht von Alexander Hübner, Mitarbeit John Revill in Zürich, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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