Rauskommen aus Krisenmodus – Wirtschaft fordert von Ampel harte Reformen

– von Christian Krämer und Rene Wagner

Berlin (Reuters) – Die Wunschliste der deutschen Wirtschaft an die Ampel-Regierung ist lang.

Es müsse im zweiten Jahr der Koalition aus SPD, Grünen und FDP um mehr als Krisenbewältigung gehen, sagt der Präsident des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm, der Nachrichtenagentur Reuters. “Die Ampel muss schnellstmöglich vom Krisen- in den Gestaltungsmodus wechseln.” Was das konkret bedeutet, ist ein weites Feld – eine schnellere Digitalisierung, mehr Fachkräfte, Fortschritte bei Infrastrukturprojekten dank schnellerer Planung und Genehmigung, neue Energieversorgungswege sowie Bürokratieabbau und solidere Staatsfinanzen. Deutschland sollte die aktuelle Krise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine als Chance begreifen und bestehende Rahmenbedingungen auf den Prüfstand stellen, fordert der Präsident des Großhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura. “Dann wird es auch gelingen, wieder mehr Dynamik zu erzeugen.”

Reuters hat vor Weihnachten die führenden Wirtschaftsverbände zu ihren Erwartungen für das kommende Jahr befragt. Immer wieder bemängelt wird dabei die schleppende Digitalisierung im Land und vor allem in der Verwaltung. Auch hier sei eine Zeitenwende nötig. “Ein bisschen Veränderung hier, ein wenig dort und vor allem niemandem auf die Füße treten – so kommen wir nicht weiter”, klagt der Präsident des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg. Es reiche nicht aus, neben einem analogen Prozess zusätzlich einen digitalen zu setzen. “Wir müssen den Mut haben, die alten Prozesse nicht nur zu ergänzen, sondern auch zu ersetzen.”

Immer wieder genannt werden auch fehlende Fachkräfte, die gezielt aus dem Ausland angelockt werden sollten. “Nötig ist eine gesetzliche Verankerung der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung, um so die Attraktivität beruflicher Bildung zu erhöhen und für eine auch gleichwertige finanzielle Förderung beider Bildungswege zu sorgen”, sagt Holger Schwannecke, Generalsekretär beim Handwerksverband ZDH. In der Gesamtwirtschaft sind laut Bitkom 137.000 IT-Stellen unbesetzt und damit so viele wie noch nie. Deutschland müsse attraktiver für Talente aus aller Welt werden.

MEHR TEMPO

Nach der Umsetzung des ersten schwimmenden Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven in weniger als einem Jahr keimt in der Wirtschaft Hoffnung auf, dass das Beispiel Schule macht. Bei allen Infrastrukturprojekten müsse es eine massive Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren geben, so DIHK-Präsident Peter Adrian. “Es nützt nichts, wenn wir die Genehmigungen von Windrädern zwar beschleunigen, aber die Lastwagen, die die Rotorblätter transportieren, nur mit massiven Umwegen ans Ziel kommen, weil Brücken gesperrt und Straßen nicht nutzbar sind.” Es müsse vor allem schnellere Entscheidungen der Behörden geben. “Bisher fehlt aber der erkennbare politische Wille, bei allen Arten von Infrastrukturvorhaben von der Kriech- auf die Überholspur zu wechseln.”

BGA-Präsident Jandura kritisiert konkret das Grünen-geführte Umweltministerium. Deutschland könne sich eine Unterscheidung in gute und schlechte Infrastrukturprojekte nicht mehr leisten. Das Ministerium hält es nicht für möglich, überall gleichzeitig mehr Tempo zu machen – und will etwa den Ausbau erneuerbarer Energien vorziehen, nicht aber Straßen, Autobahnen und Flughäfen.

Um fehlendes Gas aus Russland im Zuge des Krieges in der Ukraine zu ersetzen, wurde zuletzt das erste schwimmende LNG-Terminal eingeweiht, weitere sollen in den nächsten Wochen und Monaten folgen. BDI-Präsident Russwurm sagt, dies könne nur der Anfang sein. Das Tempo müsse auch bei anderen Projekten zum neuen Standard werden. Der Handwerksverband lobte, dass die Beteiligungsprozesse und Gerichtsverfahren im LNG-Fall gestrafft sowie teilweise auf bestimmte Planungsschritte verzichtet worden sei. Eine größere Dynamik müsse es aber auch im Bahn- und Straßenbereich, beim Wohnungsbau und Stromtrassen geben. “Hier hakt es überall.” Voraussetzung für Verbesserungen seien eine ausreichende Personalausstattung in den Behörden, eine stärkere Digitalisierung und weniger Bürokratie. Bitkom-Präsident Berg ergänzt, die Erleichterungen im Energiesektor müsse es auch für den Mobilfunk- und Glasfaserausbau geben.

Der Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft (BDEW) rechnet 2023 mit mehr Investitionen, nicht nur im LNG-Bereich, sondern auch bei erneuerbaren Energie und dem dafür nötigen Netzausbau. Denn die Erneuerbaren seien jetzt von “überragendem öffentlichen Interesse”, was helfen werde, sagt BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae.

Ein Dauerbrenner für die Verbände bleiben bürokratische Hürden. Das versprochene Belastungsmoratorium müsse die Politik endlich umsetzen, so der Handwerksverband ZDH. Vor allem kleine und mittlere Betriebe müssten befreit werden von Regulierungen, etwa Berichtspflichten.

Nur BGA-Präsident Jandura spricht sich in der Umfrage explizit dafür aus, nächstes Jahr stärker wieder auf die Finanzen zu achten, damit diese nicht aus dem Ruder laufen. In der Corona-Pandemie und nun in der Energiekrise hat vor allem der Bund enorme Schulden angehäuft. “Explodierende Staatsschulden, steigende Zinsen sowie Personal- und Pensionsausgaben machen mir Sorgen.” Es dürfe nicht so großzügig mit dem Geld künftiger Generationen umgegangen werden. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse müsse wieder konsequent eingehalten werden.

(redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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