München (Reuters) – Beim Finanzkonzern Wirecard wurden milliardenschwere Geschäfte nach Darstellung des Angeklagten Oliver Bellenhaus mit verhältnismäßig einfachen Mitteln gefälscht.
“Excel. Viel mehr brauchte ich nicht”, sagte der Kronzeuge am Mittwoch im Strafprozess vor dem Landgericht München. Mit dem Programm habe er jahrelang tabellenweise Einzelumsätze erfunden, um die von seinen Managern gewünschten Summen zu erreichen.
Der mitangeklagte Ex-Chef Markus Braun habe die Abrechnungen einzeln gebilligt und zudem die unverzichtbare Rolle gehabt, mit seiner Autorität die Fälschungen zu decken. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Markus Födisch, ob das milliardenschwere Geschäft des damaligen Dax-Konzerns mit so genannten Drittpartnern (TPA) existiert habe, bekräftigte Bellenhaus seine früheren Angaben: “Ich antworte in aller Deutlichkeit: nein.”
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage gegen Braun, Chefbuchhalter Stephan von Erffa und Bellenhaus unter anderem auf Bellenhaus’ Angaben. Die Strafverfolger sprechen von Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und Bandenbetrug. Die Verteidiger Brauns und von Erffas haben die Vorwürfe zurückgewiesen. Brauns Anwalt Alfred Dierlamm hat erklärt, anders als von Bellenhaus und der Staatsanwaltschaft dargestellt, hätten die bei Wirecard vermissten Milliarden existiert und seien hinter Brauns Rücken veruntreut worden.
BELLENHAUS: GEFÄLSCHTE TABELLEN EXISTIEREN NICHT MEHR
Bellenhaus zufolge waren die Geschäftsteile, die bei Wirecard von wenigen Beteiligten erfunden worden seien, ungleich größer als das tatsächliche Geschäft der übrigen 6000 Mitarbeiter. Dies sei mithilfe der angeblichen Auslagerung an Drittpartner verschleiert worden, deren Umsätze er auf seinem Posten in Dubai gefälscht habe. Bellenhaus machte deutlich, dass bereits ein Auffliegen der Größenverhältnisse das Management in Bedrängnis gebracht hätte – etwa wenn ein Investor nur die Aufteilung entdeckt hätte: “Wenn der sieht, dass der Bellenhaus in Dubai 117 Prozent vom Ertrag macht, sagt der doch: Schmeiß die anderen 6000 raus.” Der Anklage zufolge erwirtschaftete Wircard zuletzt tatsächlich keine hohen Gewinne, sondern machte Verluste.
Bellenhaus erklärte, er habe mit wenigen anderen Beteiligten die Unterlagen des Konzerns stets passgenau gefälscht. “Der Wirtschaftsprüfer brauchte was, und dann entstand die Panik”, erläuterte Bellenhaus. “Dann haben wir versucht, was zu basteln.” Entscheidend sei die Frage gewesen: “Ist der Wirtschaftsprüfer glücklich?” Die gefälschten Excel-Tabellen existierten allerdings nicht mehr, da er sie aus Sicherheitsgründen nur bei einem Cloud-Anbieter gespeichert habe. Sein Nutzungsabo dort habe er nicht fortgesetzt.
Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 zusammengebrochen, als bekannt wurde, dass in der Kasse 1,9 Milliarden Euro fehlten. Die Pleite ist einer der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bellenhaus hatte sich kurz danach der Münchner Staatsanwaltschaft gestellt und dort umfassend ausgesagt. Bellenhaus und Braun sitzen in Untersuchungshaft.
Braun hat sich in dem Prozess bisher nicht persönlich zur Anklage geäußert. Ob er wie vom Gericht geplant am 19. Januar das Wort ergreift oder schweigt, ist offen. Brauns Verteidiger Dierlamm hatte erklärt, zunächst müsse das Gericht über seinen Antrag entscheiden, den Prozess auszusetzen. Den Antrag hatte Dierlamm mit einer nicht zu bewältigenden Flut neuer Prozessakten begründet.
(Bericht von Jörn Poltz, redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)