Scholz verspricht “verteidigungsindustrielle Kehrtwende”

Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine “verteidigungspolitische Kehrtwende” angekündigt, um die Rüstungsproduktion in Deutschland und Europa angesichts der geopolitischen Bedrohungen wieder hochzufahren.

“Ich setze mich mit Nachdruck für den Erhalt und den Ausbau von Produktionskapazitäten ein”, sagte Scholz am Mittwoch in Berlin zur Eröffnung der Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA). Die Rüstungsindustrie solle dazu “verlässliche Aufträge” erhalten, damit die Produktionskapazitäten ausgebaut werden können. “Deshalb werden wir noch in dieser Legislaturperiode 20 weitere Eurofighter bestellen – zusätzlich zu den 38 Flugzeugen, die derzeit noch in der Pipeline sind”, fügte der Kanzler hinzu.

Hintergrund ist die Bedrohung durch Russland nach dem Überfall auf die Ukraine. Etliche westliche Regierungen wollen deshalb nicht nur mehr Geld für Verteidigung ausgeben, sondern auch die Produktion von Waffen hochfahren – auch um die Ukraine unterstützen zu können. Scholz kündigte Hilfe nicht nur bei Bestellungen an. Die Regierung werde sich auch etwa für weitere Möglichkeiten beim Export des Eurofighters einsetzen. Dieser solle zudem weiterentwickelt werden, um den Europäern eine Übergangstechnologie bis zu dem mit Frankreich geplanten künftigen Luftkampfsystem FCAS zu bieten. Weil die europäische Industrie aber nicht alle Rüstungsgüter herstelle, müsse man auch in außereuropäischen Ländern wie den USA einkaufen.

Der Kanzler betonte die strategische Bedeutung der Luft- und Raumfahrt sowohl auf zivilem wie auch militärischem Gebiet. Mit dem baldigen Start der Ariane-A6-Trägerrakete werde “endlich” wieder Europas eigener Zugang zum All mit einem Großträgersystem hergestellt und die technologische Souveränität auf einem entscheidenden Feld für die Wettbewerbsfähigkeit gesichert. “Die Fähigkeit, jederzeit auch im All handeln und Satelliten in Umlaufbahnen bringen zu können, ist kommerziell, aber auch verteidigungspolitisch unerlässlich”, mahnte er.

Scholz betonte, dass die Bundesregierung nach dem Start der Ariane 6 weiter in dieses Trägersystem investieren werde. Unter Experten ist die Entwicklung des vor allem von Frankreich forcierten Ariane-Systems wegen der hohen Kosten umstritten. Europa ist mittlerweile deutlich hinter Staaten wie die USA oder China zurückgefallen, die entweder staatlicherseits deutlich mehr Geld in die Entwicklung von Raketen investieren oder aber dies privaten Firmen überlassen wie in den USA.

Nötig seien zudem innovative Kleinsysteme, um Satelliten ins All zu bringen, sagte Scholz und verwies auf die Erststarts deutscher sogenannter Micro-Launcher in diesem Jahr. Finanziert würde dieser Sektor vor allem mit privaten Mitteln. “Europa braucht eine eigene Satelliten-Mega-Konstellation – ob fürs Internet der Dinge oder fürs autonome Fahren und Fliegen von morgen”, forderte der Kanzler zudem in Anspielung auf große Satelliten-Netzwerke wie Starlink, das Elon Musk in den USA aufgebaut hat.

Mehrere Verbände der Luftfahrt- und Sicherheitsbranche stellten sich zum ILA-Auftakt hinter Forderungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius, der bereits im kommenden Jahr 6,5 Milliarden Euro mehr für seinen Etat haben möchte. Der Bundeswehr müsse mehr Geld zugewiesen werden, weil der Bedarf “oberhalb der versprochenen zwei Prozent vom BIP” liege, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Sie spielen auf das Ziel der Nato-Staaten an, jährlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Scholz bekannte sich in seiner Rede auf der ILA ausdrücklich dazu, dass die Regierung dieses Ziel auch in den kommenden Jahren erreichen werde.

Bis 2028 beziffern die Verbände den Mehrbedarf für die Bundeswehr auf weitere rund 100 Milliarden Euro – über das sogenannte Sondervermögen der Bundeswehr hinaus. Dieses ermöglicht dem Bund, 100 Milliarden neue Kredite für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr aufnehmen zu können. Dieses Geld ist weitgehend verplant und ergänzt den Verteidigungsetat. Zu den Unterzeichnern gehören Verbände wie der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) oder der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2024binary_LYNXMPEK540C5-VIEWIMAGE

Close Bitnami banner
Bitnami