DIW-Chef Fratzscher – Politik sollte sich bei VW heraushalten

Berlin (Reuters) – Die Politik sollte sich nach den Worten von DIW-Präsident Marcel Fratzscher nicht in den Umbau von Volkswagen einmischen.

“Die angekündigten Maßnahmen sind überfällig, um eine Trendwende einzuleiten und eine Krise zu verhindern”, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) am Dienstag in Berlin. “Die Politik sollte sich bei dieser Erneuerung heraushalten und darf nicht den Fehler begehen, alte Strukturen zu zementieren und die notwendige Transformation zu behindern.”

Werksschließungen und die Aufkündigung der Beschäftigungsgarantien seien notwendig, um Volkswagen zukunftsfähig zu machen. Der Widerstand der Gewerkschaften dagegen sei zwar verständlich. “Aber es ist besser, 80 Prozent der Arbeitsplätze in der Automobilbranche langfristig zu schützen und produktiver zu machen, statt 100 Prozent der Arbeitsplätze zu gefährden”, sagte Fratzscher. Die Beschäftigten, die bei Volkswagen ihren Arbeitsplatz verlieren, würden anderswo neue Arbeit finden und neue Chancen für den Wirtschaftsstandort schaffen.

“TRANSFORMATION VERSCHLAFEN”

Die geplanten Einschnitte bei Volkswagen sind dem Ifo-Institut zufolge nicht der Anfang vom Ende der deutschen Autoindustrie. “Der Übergang zur E-Mobilität ist hart, es wird noch eine lange Durststrecke werden für die deutsche Autobranche”, sagte der Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien, Oliver Falck, der Nachrichtenagentur Reuters. “Ich bin aber optimistisch, dass sie das meistern wird, wenn auch nicht mehr mit den Marktanteilen der Vergangenheit.” Es seien ein unglaubliches Wissen vorhanden und die Kompetenz, Autos zu bauen – auch solche mit Elektroantrieb. Er gehe zudem nicht davon aus, dass die Deutschen jetzt reihenweise chinesische Auto kaufen werden.

Volkswagen hat am Montag mit der Ankündigung überrascht, seinen Sparkurs zu verschärfen. Die fehlende Zukunftsfähigkeit von VW ist Fratzscher zufolge primär das Resultat eigener Fehlentscheidungen und nicht die Verantwortung der Politik. “Vor allem hat Volkswagen die Transformation zur E-Mobilität und zum autonomen Fahren verschlafen”, sagte er. Eine Schwäche seien auch die enormen Kosten sowie die fehlende Schnelligkeit und Flexibilität des Konzerns, auf neue Entwicklungen zu reagieren.

“Auf dem Weg zur Elektromobilität werden weniger Werke benötigt, weil die Autos weniger komplex sind”, sagte Ifo-Experte Falck. “Bisher wurden Doppelstrukturen gefahren nach dem Motto: Wir melken den Verbrenner noch, aber bauen gleichzeitig mehr E-Autos.” Jetzt steige der Druck, weil insbesondere die Nachfrage nach Elektroautos schwächele. Weder die Binnen- noch die Exportnachfrage liefen derzeit gut. “Wir müssen Strukturwandel zulassen und nicht aus Furcht vor Arbeitslosigkeit hinauszögern”, sagte Falck.

Deutschland und Europa seien zudem alternde Gesellschaften. “Die Zukunft der Absatzmärkte liegt nicht hier, sondern in anderen Regionen der Welt.” Dass alles in Deutschland produziert und montiert werde, gehöre der Vergangenheit an. Die deutschen Autobauer produzierten schon seit 2018 mehr Autos in China als in der Heimat.

Massenarbeitslosigkeit befürchtet der Experte nicht. “Um die Beschäftigung würde ich mir weniger Sorge machen.” Die Mitarbeiter in der Autoproduktion seien im Schnitt noch älter als der durchschnittliche Arbeitnehmer in Deutschland. Da werde viel über Frühverrentung und Abfindungen laufen. “Wir werden in den nächsten Jahren nicht das Problem haben, zu viele Arbeitskräfte zu haben, sondern zu wenige”, sagte Falck.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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