Wechsel in harten Zeiten – Daimler Truck bekommt eine Chefin

– von Ilona Wissenbach

Frankfurt (Reuters) – “Frau am Steuer, Ungeheuer” – so geht ein Machospruch aus dem vergangenen Jahrhundert.

Doch diese Zeiten sind vorbei – und was Daimlers Aufsichtsratschef und Industriekapitän Joe Kaeser an Karin Radstroem ungeheuerlich findet, ist ihre Eignung für den Job der Vorstandsvorsitzenden des Lkw-Bauers Daimler Truck. Die 45-jährige Schwedin, bislang Chefin des Europa- und Lateinamerika-Geschäfts der Schwaben unter der Marke Mercedes-Benz, galt schon länger als mögliche Nachfolgerin von Konzernchef Martin Daum. Der Wechsel kommt schon zum 1. Oktober und damit fünf Monate früher als erwartet. In der angespannten Marktlage muss Daimler rasch gegensteuern, und die neue Chefin soll die Weichen in der Budgetplanung für 2025 schon selbst stellen. Ihre Fachkompetenz fasst Kaeser so zusammen: “Sie war ihr ganzes Berufsleben lang ein Trucker.”

Bewährt hat sich die Ingenieurin mit Lkw-Führerschein, die vor drei Jahren vom schwedischen Konkurrenten Scania zu Daimler wechselte, indem sie das notorisch margenschwache Europa-Geschäft profitabler gemacht hat. Mit der Erfahrung als Vertriebschefin der VW-Tochter stärkte sie das einträgliche Service-Geschäft und senkte die Kosten. Neben mehr Kundenorientierung habe sie eine neue Leistungskultur etabliert, sagte Kaeser. Und das in guter vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern, wie Betriebsratschef Michael Brecht anmerkte.

Mit der Schwedin an der Spitze verdoppelte das Europa-Geschäft die operative Rendite auf zehn Prozent und verringerte den Abstand zu Daimlers Cash-Cow-Markt Nordamerika. Das sei in erster Linie Ergebnis harter Arbeit des Teams unter Radstroem gewesen, auch wenn es etwas Rückenwind vom Markt gab. Denn durch Produktionsprobleme während der Corona-Pandemie entstand ein Auftragsstau – neue Lkw wurden so dringend gebraucht, dass Kunden höhere Preisen zahlten.

NAVIGIEREN DURCH DIE FLAUTE

Doch seit Ende letzten Jahres hat sich der Wind gedreht – es herrscht Konjunkturschwäche in Europa und Asien. Eine sinkende Nachfrage im konjunkturabhängigen Nutzfahrzeuggeschäft erwartet Daimler jetzt auch in Nordamerika. In Europa brach der Auftragseingang ein, Absatz und Gewinn sackten ab. Mit der Trennung von rund 2000 Leiharbeitnehmern begann im Frühjahr ein Arbeitsplatzabbau, der die Stammbelegschaft noch nicht erreicht hat. Ab September wurde für zunächst zwei Monate Kurzarbeit im Stammwerk Wörth mit seinen 9000 Beschäftigten eingeführt.

Gleichzeitig investiert der Lkw-Bauer weiter in emissionsfreie Antriebe und fährt dabei zweigleisig – mit Batterie und Brennstoffzelle/Wasserstoff. Die Regulierung im weltweiten Kampf gegen den Klimaschutz erzwingt den Abschied vom Dieselmotor. Doch die klimafreundlichen Laster sind nach den Worten Kaesers noch immer in der Anschaffung doppelt so teuer wie die mit konventionellem Antrieb. Das ist der scharf rechnenden Kundschaft in der Transportbranche nur schwer zu verkaufen. Das Geschäftsmodell muss sich wandeln, neben dem Neuwagenverkauf werden zusätzliche Servicepakete für Ladeinfrastruktur oder Wartung immer wichtiger.

Daimler-Aktien lagen leicht im Aufwind. Es sehe danach aus, dass die “Abteilung Scania” den internen Kampf um die Kontrolle von Daimler Truck gewonnen habe, sagte ein Händler. “Das ist positiv.” Neben Technik-Chef Andreas Gorbach waren noch andere interne und externe Kandidaten im Rennen gewesen. Radstroem ist nun die zweite Frau, die derzeit einen Dax-Konzern steuert – neben der Spanierin Belen Garijo, Vorstandschefin von Merck.

RENDITEZIELE IM BLICK

Leistung im Team ist für die Mutter von zwei Kindern auch im Privatleben ein Motto. Als Profisportlerin war sie schwedische Meisterin im Rudern im Zweier. Sie sollte nach Kaesers Vorstellung nun wegen ihres Alters Daimler zwei Amtszeiten lang bis ins nächste Jahrzehnt führen. Es gilt, die Transformation zu klimafreundlichen Antrieben zu bewältigen und den Konzern zugleich auf ein neues Level der Profitabilität zu heben – beides erfordert einen langen Atem.

Im Sommer letzten Jahres steckte sich der seit Ende 2021 börsennotierte, aus der Aufspaltung von Daimler in Trucks und das Pkw-Hauptgeschäft Mercedes-Benz hervorgegangene Konzern Ziele: Bis 2025 soll das Industriegeschäft eine bereinigte Rendite über zehn Prozent erreichen, bis 2030 mehr als zwölf Prozent. “Wir sind noch nicht da, wo andere schon sind in der Rentabilität, das muss sich mittel- bis langfristig ändern”, gab Kaeser der neuen Chefin mit auf den Weg. Der Rivale Scania, wo Radstroem Karriere machte, ist in Europa führend mit mehr als 15 Prozent. Paccar hat in den USA die Nase vorn mit mehr als 16 Prozent. Daimler Truck wolle nicht nur der größte westliche Lkw-Bauer sein, erklärte Kaeser. “Mittel- bis langfristig gibt es keinen Grund, warum Daimler Truck nicht führende Margen in der Branche auch haben soll.”

(Mitarbeit: Andrey Sychev, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich an die Redaktionsleitung unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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