Streit um Sparkurs bei VW – Betriebsrat droht mit Gesprächsabbruch

Wolfsburg (Reuters) – Der Streit um milliardenschwere Einsparungen bei Volkswagen eskaliert.

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo drohte am Montag bei einer Informationsveranstaltung in Wolfsburg mit dem Abbruch der Gespräche und warf dem VW-Management vor, die Standorte in Deutschland auszuhungern. “Der Vorstand steht gegen uns”, sagte sie. Er habe nicht nur Verträge aufgekündigt, sondern alles, wofür die Kultur bei Volkswagen stehe. “Und er spielt somit massiv mit dem Risiko, dass hier bald alles eskaliert. Und damit meine ich, dass wir die Gespräche abbrechen und machen, was eine Belegschaft machen muss, wenn sie um ihre Existenz fürchtet.”

IG Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger sagte, die “Rabiatpläne” des Vorstandes seien nicht hinnehmbar. “Sollte VW am Mittwoch seinen dystopischen Weg bestätigen, muss der Vorstand mit den entsprechenden Konsequenzen unsererseits rechnen.” Beide Seiten kommen am Mittwoch zur zweiten Runde der laufenden Tarifverhandlungen zusammen. Das Unternehmen erklärte dazu, angesichts des geschrumpften Marktes habe man ankündigen müssen, Werksschließungen ohne aktives Gegensteuern nicht mehr ausschließen zu können. Markenvorstand Thomas Schäfer sagte, die Kosten an den deutschen Werken seien um ein Viertel bis die Hälfte höher als das, was sich der Konzern vorgenommen habe. “So wie bisher können wir nicht weitermachen. Wir müssen zügig eine gemeinsame und tragfähige Lösung für die Zukunft unseres Unternehmens finden.”

CAVALLO: PROBLEME SIND THEMA FÜR DIE POLITIK

Einig sind sich die Beteiligten darin, dass Volkswagen derzeit in Schwierigkeiten steckt. Das Unternehmen verweist auf den geschrumpften europäischen Markt, auf dem derzeit zwei Millionen Autos jährlich fehlten – davon entfielen auf VW ungefähr 500.000 Fahrzeuge. Die Rendite liegt weit unter der Zielmarke von 6,5 Prozent. “Wir haben heftige Probleme. Dem müssen wir bei Volkswagen begegnen”, sagte auch Cavallo. Management und Arbeitnehmer lägen nicht bei der Analyse der Probleme auseinander, aber meilenweit bei der Antwort. “Und diese Probleme sind auch ein Thema für die Politik”, sagte sie. “Auch die muss mal endlich aufwachen.” Es reiche nicht nur, zu sagen, man stehe auf der Seite der Belegschaft. “Wir brauchen einen umfassenden Plan aus der Politik, wie die Elektromobilität endlich zum Fliegen kommt. Und ich sage: Wir brauchen darüber hinaus auch einen Masterplan für den Industriestandort Deutschland.”

Ein Regierungssprecher sagte, es sei bekannt, dass das Unternehmen in einer schwierigen Lage sei. Bundeskanzler Olaf Scholz dringe darauf, dass die Fehler der Vergangenheit nicht zulasten der Beschäftigten gehen dürften. Jetzt müsse es darum gehen, Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Die Bundesregierung sei in engem Kontakt mit dem Unternehmen.

Auch Analysten verweisen auf die gesunkene Auslastung. Die Daten aus der Industrie legten keinen Aufschwung der Branche nahe, eher das Gegenteil. Entsprechend müssten zeitnah die Kosten erheblich gesenkt werden, bevor durch die fortschreitende Unterauslastung der Werke Geld abfließe, sagte Moritz Kronenberger, Portfoliomanager bei Union Investment. Die nun vorgestellten Pläne gingen über das hinaus, was der Markt erwartet habe, sagte Analyst Daniel Schwarz von der Investmentbank Stifel. “Es wird wahrscheinlich zu Streiks kommen.” An der Börse gaben die VW-Aktien nach der Rede Cavallos nach.

INFOVERANSTALTUNGEN AN ALLEN DEUTSCHEN WERKEN

Der Betriebsrat hatte zeitgleich die Mitarbeiter in den deutschen VW-Werken über die Pläne des Unternehmens informiert. Allein in Wolfsburg kamen nach Betriebsratsangaben rund 25.000 Beschäftigte zu den Veranstaltungen. Demnach wolle Volkswagen mindestens drei Werke in der Bundesrepublik schließen, Zehntausende Arbeitsplätze seien in Gefahr. Die verbliebenen Standorte sollten geschrumpft werden, indem Produkte, Stückzahlen, Schichten und ganze Montagelinien herausgenommen würden. Cavallo sprach von einem Aushungern. “Niemand von uns hier kann sich noch sicher fühlen.” Der Vorstand meine seine Pläne ernst. “Das ist der Plan des größten deutschen Industriekonzerns, in seiner Heimat Deutschland den Ausverkauf zu starten. Es ist das feste Vorhaben, die Standortregionen ausbluten zu lassen. Und es ist die klare Absicht, Zehntausende Volkswagen-Beschäftigte in die Massenarbeitslosigkeit zu schicken.”

Die Betriebsratschefin verwies insbesondere auf das Werk in Osnabrück, aus dem Porsche zuletzt den Auftrag für den elektrischen 718er abgezogen hatte. “Der Vorstand hält sich nicht an Absprachen, selbst an die aus der Planungsrunde nicht, deren Wert hier im Konzern nicht höher hängen kann”, kritisierte sie. In Osnabrück werden derzeit Aufträge für die Sportwagenmodelle 718 Cayman und Boxster abgearbeitet, die über die Produktionskapazitäten im Porsche-Hauptwerk Stuttgart Zuffenhausen hinausgehen. Diese Modelle sowie das VW-Fahrzeug T-Roc Cabrio laufen bis Frühjahr 2026 aus – ab dann hat das Werk in Osnabrück keine Aufträge mehr.

Die verbleibenden Mitarbeiter müssten sich überdies auf deutliche Gehaltseinbußen einstellen. So fordere das Management dauerhaft zehn Prozent weniger Monatsentgelt, zwei Nullrunden in den Jahren 2025 und 2026 sowie das Aus von Zulagen und Boni, sagte Cavallo. Die IG Metall fordert in der laufenden Tarifrunde für die VW-Beschäftigten unter anderem sieben Prozent mehr Lohn.

(Bericht von Axel Schmidt und Christina Amann, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

tagreuters.com2024binary_LYNXMPEK9R0BG-VIEWIMAGE

Close Bitnami banner
Bitnami