– von Alexander Hübner und Ilona Wissenbach
München/Frankfurt (Reuters) – Nach einem 18-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich die Arbeitgeber und die Gewerkschaft IG Metall auf einen Pilot-Tarifabschluss für die deutsche Metall- und Elektroindustrie geeinigt.
Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der wichtigten deutschen Industriebranche sollen von April an 2,0 Prozent mehr Geld erhalten, ein Jahr später gibt es noch einmal 3,1 Prozent mehr. Insgesamt läuft der Tarifvertrag über 25 Monate, also bis Oktober 2026. Vorgeschaltet ist eine Einmalzahlung von 600 Euro, die spätestens im Februar 2025 gezahlt werden soll. Die IG Metall bezifferte das Gesamtvolumen der dauerhaften Entgelterhöhungen am Dienstag in Hamburg auf 5,5 Prozent.
Die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner sprach von einem “soliden Abschluss in herausfordernden Zeiten. Das Ergebnis kann sich sehr gut sehen lassen.” Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf erklärte, die Verhandlungen seien wegen der Rezession besonders herausfordernd gewesen. “So richtig Grund zur Euphorie besteht nicht.” Formal gilt der Abschluss zunächst nur für Bayern und den Tarifbezirk Küste im Norden, die in der entscheidenden Runde erstmals im Tandem verhandelt hatten. Arbeitgeber und IG Metall wollen die Übernahme auch den anderen Tarifbezirken empfehlen. “Wir waren bereit, mit diesem Abschluss die Arbeitskosten zu erhöhen”, sagte Wolf. Längere Streiks, mit denen die IG Metall im Falle eines Scheiterns gedroht hatte, hätten mehr Schaden angerichtet. Man habe auch ein Zeichen an die Politik senden wollen, dass Kompromisse in unsicheren Zeiten möglich seien.
Experten lobten das Ergebnis der Verhandlungen. “Das ist ein sehr maßvoller Abschluss”, sagte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. “Die Arbeitgeber werden die Tariflohnerhöhung stemmen können.” Mehr wäre angesichts von Entlassungen in vielen Firmen nicht gerechtfertigt gewesen. Chefvolkswirt Carsten Brzeski von ING sprach von einer “deutlichen Kehrtwende: weg von starken Lohnerhöhungen zum Ausgleich von Kaufkraftverlusten, hin zu Arbeitsplatzsicherung”. Die Hiobsbotschaften aus Wolfsburg, wo Volkswagen derzeit auf massive Einsparungen drängt und Werke schließen will, hätten ihre Spuren hinterlassen.
Bei dem Autobauer laufen parallel Verhandlungen über den Haustarifvertrag. “Wir brauchen eine Kostenentlastung, keine Kostenbelastung, dafür haben wir Vorschläge gemacht”, kommentierte eine Sprecherin den Metall-Tarifabschluss. Für einzelne Werke wie das gefährdete in Osnabrück, aber auch die VW-Töchter Audi und Porsche, gilt der Flächentarif.
“BELASTUNGEN NOCH ERTRÄGLICH”
Die Arbeitgeber setzten sich in Hamburg vor allem bei der Laufzeit durch; sie hatten auf langfristige Planungssicherheit gepocht. Damit seien die Belastungen für das Jahr 2025 nicht ganz so hoch, sagte die Verhandlungsführerin der bayerischen Arbeitgeber, Angelique Renkhoff-Mücke. “Und wir haben in Summe Belastungen, die noch erträglich sind.” Die IG Metall hatte sieben Prozent mehr Geld bei zwölf Monaten Laufzeit gefordert, seither hat sich die Konjunktur gerade in der Autoindustrie aber deutlich eingetrübt. Die regionalen Arbeitgeber hatten zunächst 3,6 Prozent mehr in zwei Stufen über 27 Monate angeboten – wobei die erste Erhöhung erst für Juli 2025 geplant war.
Mehr als 600.000 Beschäftigte bundesweit machten seit Ende Oktober mit Warnstreiks Druck für die Forderungen der IG Metall, die unter anderem mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten argumentierte. Die Arbeitgeber mahnten zur Mäßigung, weil die betroffenen Branchen mit einer Rezession und in weiten Teilen auch mit einer Strukturkrise zu kämpfen hätten.
Für Unternehmen in schwieriger Lage sieht der Tarifvertrag erneut automatische Differenzierungsmöglichkeiten bei einer jährlichen Einmalzahlung, dem sogenannten T-Geld, vor. Sie gelten für Firmen mit einer Nettoumsatzrendite von weniger als 2,3 Prozent. Die zweite tarifliche Einmalzahlung (T-ZUG B) soll ab 2026 von 630 auf 900 Euro klettern, was Geringverdienern zugutekommt. Die Ausbildungsvergütungen für die 230.000 Azubis sollen im Januar 2025 um 140 Euro im Monat steigen, im April 2026 um weitere 3,1 Prozent.
(Mitarbeit von Rene Wagner, Klaus Wagner und Christina Amann, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)