Berlin (Reuters) – In den Tarifverhandlungen bei Volkswagen nehmen Vorstand und Arbeitnehmer nach einem für den Konzern beispiellosen Verhandlungsmarathon Kurs auf eine Einigung.
Der Entwurf für eine Übereinkunft stehe, sagte ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag. Die zuständigen Gremien müssen ihn noch billigen. Die IG Metall lud für 18.30 zu einer Pressekonferenz nach Hannover ein, um über den aktuellen Stand der Tarifverhandlungen zu informieren. VW-Markenchef Thomas Schäfer und Gunnar Kilian, im Konzern für das Personal zuständig, legen zur gleichen Zeit in Berlin ihre Sicht der Dinge vor.
Nach langen Gesprächen stehe ein Kompromiss, berichtete auch das “Handelsblatt”. Die Übereinkunft sehe vor, dass zwei Werke zur Disposition gestellt würden. Nach Informationen des “Manager Magazin” sollen in den nächsten Jahren mehr als zehntausend Arbeitsplätze wegfallen. Weitere Details wurden zunächst nicht bekannt. An der Börse reagierten die Anleger erleichtert. Die Aktien von Europas größtem Autobauer schossen zwischenzeitlich um fast 2,5 Prozent an die Spitze des Dax. Mit einem Kompromiss würde ein harter Arbeitskampf mit unabsehbaren Folgen für den Konzern abgewendet.
Es war ein hartes Ringen um eine Lösung in dem Konflikt: Der VW-Vorstand – unterstützt von den Eigentümerfamilien Porsche und Piech – pocht auf Einsparungen. Finanzchef Arno Antlitz verwies auf massive Überkapazitäten, weil auf dem europäischen Automarkt dauerhaft weniger Fahrzeuge verkauft würden als vor der Pandemie. Zudem steckt das China-Geschäft in einer Krise, und chinesische Rivalen machen der weltweiten Nummer zwei in der Autobranche Konkurrenz. Um die Überkapazitäten in den Griff zu bekommen, haben die Arbeitnehmer einen eigenen Vorschlag vorgelegt, der unter anderem den Verzicht auf Boni und einen Arbeitszeitfonds beinhaltete. Ein Sprecher der IG Metall verwies auf die roten Linien der Arbeitnehmer in den Gesprächen: Betriebsratschefin Daniela Cavallo hat wiederholt deutlich gemacht, dass es mit ihr keine Werksschließungen geben werde. Auch betriebsbedingte Kündigungen und einen Eingriff in das monatliche Entgelt hatten die Arbeitnehmer abgelehnt. VW hatte in den Verhandlungen Gehaltseinbußen um zehn Prozent gefordert.
LÄNGSTE VERHANDLUNGEN IN DER VW-GESCHICHTE
Begonnen hatten die Gespräche am 25. September. Die fünfte Verhandlungsrunde in dem Konflikt läuft seit Montag. Es ist mit mehr als 70 Stunden der längste Verhandlungsmarathon in der Geschichte von Volkswagen. Beide Seiten haben mehrere Nächte durchverhandelt, nur unterbrochen durch kurze Schlafpausen. Die IG Metall machte am Donnerstagabend das VW-Management für die Zitterpartie verantwortlich. “Der Verhandlungsprozess hakt insbesondere in den internen Abläufen der Arbeitgeberseite”, teilte die Gewerkschaft mit. Zuletzt waren vor allem die Zukunft der Werke und die Beschäftigungssicherung umstritten, während es bei den Tarifen schneller zu einer Verständigung gekommen war.
BLATT: SPARZIEL WIRD ERREICHT
Mit der Einigung werde das avisierte Sparziel nun erreicht, berichtete das “Handelsblatt”. Zuletzt habe dies bei vier Milliarden Euro gelegen. Weniger drastisch als erwartet sollen die Einschnitte im Fabriknetzwerk ausfallen. Demnach soll für das Werk Osnabrück ein Käufer gefunden und die kleinere Fertigung in Dresden umgewidmet oder geschlossen werden. Eine Schließung der Fabriken in Zwickau oder Emden soll demnach vom Tisch sein.
Sollte es nicht gelingen, bis Weihnachten eine Einigung für die rund 130.000 VW-Mitarbeiter zu erzielen, drohen ab Januar Streiks. Schon in den vergangenen Wochen hatten sich an zwei Warnstreiks nach Gewerkschaftsangaben jeweils rund 100.000 VW-Mitarbeiter beteiligt. Ein längerer Streik könnte für Volkswagen teuer werden. UBS-Analyst Patrick Hummel bezifferte den möglichen Umsatzausfall auf bis zu 100 Millionen Euro pro Tag. “Das Risiko weiterer Streiks im ersten Quartal 2025 ist signifikant und könnte unserer Einschätzung nach möglicherweise Auswirkungen auf die Gewinnprognose für das Gesamtjahr haben.”
(Bericht von Christina Amann, bearbeitet von Matthias Inverardi, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)