Unicredit steigt bei Commerzbank ein und lotet Übernahme aus

– von Tom Sims und Giulia Segreti und Christian Kraemer

Frankfurt/Berlin/Mailand/München (Reuters) – Die italienische Großbank Unicredit greift überraschend nach ihrem deutschen Konkurrenten Commerzbank.

Die Italiener, die in Deutschland mit ihrer Marke HypoVereinsbank bekannt sind, erwarben am Mittwoch neun Prozent am zweitgrößten börsennotierten deutschen Geldinstitut und signalisierten Interesse an einem größeren Engagement. Im Falle einer Übernahme könnte ein Bankriese entstehen, der einen Marktwert von fast 74 Milliarden Euro erreicht und in Europa Platz zwei nach der britischen HSBC einnimmt. Die Commerzbank reagierte zurückhaltend. Während die Aktienkurse beider Banken zulegten und Ökonomen den Schritt begrüßten, drohten deutsche Arbeitnehmer mit Widerstand. Kurz zuvor hatte Commerzbank-Chef Manfred Knof seinen Abschied im kommenden Jahr angekündigt.

Unicredit erklärte, man werde zusammen mit der Commerzbank Möglichkeiten zur Wertsteigerung für die Aktionäre beider Banken erörtern. Wenn nötig, werde man regulatorische Genehmigungen für eine mögliche Ausweitung des Anteils auf mehr als 9,9 Prozent einholen. Einem Insider zufolge will Unicredit-Chef Andrea Orcel mit der Commerzbank eine Fusion ausloten. Er habe das Management des deutschen Konkurrenten am Mittwoch zu Gesprächen über ein Zusammengehen eingeladen, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Commerzbank teilte lediglich mit, man habe den Einstieg zur Kenntnis genommen, und ließ ihr weiteres Vorgehen offen: “Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank werden weiterhin im besten Interesse aller unserer Anteilseigner sowie von Mitarbeitenden und Kunden handeln.” Der Aufsichtsrat wolle ab 17.00 Uhr auf einer außerordentlichen Sitzung beraten, sagte Gremiumsmitglied Stefan Wittmann, ein Vertreter der Gewerkschaft Verdi. Wittmann und Verdi-Chef Frank Werneke kündigten Widerstand gegen eine Übernahme an. Wittmann sagte, er befürchte einen Verlust zahlreicher Arbeitsplätze und eine Verlagerung unternehmerischer Entscheidungen nach Italien.

AKTIEN IM HÖHENFLUG

Spekulationen, dass dies der Auftakt zu der lang erwarteten Konsolidierung auf dem europäischen Bankensektor sein könnte, trieben die Commerzbank-Aktien in der Spitze rund 18 Prozent und damit an die Spitze des Dax. Das ist der größte Kurssprung seit Jahren. Die Aktien von Unicredit, dem zweitgrößten italienischen Kreditinstitut, stiegen in Mailand zwischenzeitlich um rund drei Prozent. Die Titel des Rivalen Deutsche Bank verloren rund 2,5 Prozent. Der deutsche Branchenprimus, der vor Jahren die Postbank übernommen hatte, erklärte, er äußere sich nicht zu Wettbewerbern.

Die Italiener bemühen sich Insidern zufolge bereits seit Jahren um eine Übernahme der Commerzbank. Der seit 2021 amtierende Unicredit-Chef Andrea Orcel sei deswegen bereits Anfang 2022 an Commerzbank-Chef Knof herangetreten, hatten mit der Angelegenheit vertraute Personen Reuters damals gesagt. Bereits Orcels Vorgänger Jean Pierre Mustier habe an einer Übernahme gearbeitet, sei aber auf politischen Widerstand gestoßen, sagte eine an den Vorbereitungen beteiligte Person.

Am Dienstag hatte die Commerzbank überraschend mitgeteilt, dass Vorstandschef Knof das Institut nach Ablauf seines laufenden Vertrags verlässt. Er werde nur noch bis Ende Dezember 2025 bleiben. Der Aufsichtsrat um Jens Weidmann werde umgehend mit der Suche nach einer Nachfolge beginnen. In Medienberichten war Finanzchefin Bettina Orlopp als mögliche Kandidatin genannt worden.

BUND LÄUTET AUSSTIEG AUS COMMERZBANK EIN

Unicredit erwarb nach eigenen Angaben die Hälfte ihres Commerzbank-Anteils durch den Kauf eines 4,5-Prozent-Pakets, das der deutsche Staat über Nacht am Markt platzierte. Der andere Teil sei am Markt erworben worden. Der Bund hält nun noch zwölf Prozent an der Bank. Für eine Trennung von weiteren Commerzbank-Aktien bestehe nun jedoch eine 90-tägige Sperrfrist, sagte eine Sprecherin des FDP-geführten Finanzministeriums am Mittwoch.

Verdi-Chef Werneke forderte die von SPD, Grünen und FDP gebildete Bundesregierung auf, eine Übernahme zu verhindern. “Bis auf weiteres muss der Bundesanteil an der Commerzbank beibehalten werden, um eine Übernahme abzuwenden.” Damit sollten die Förderung der Wirtschaftsstruktur und der Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland sichergestellt werden.

Der Bund hatte der Commerzbank in der Finanzkrise 2008 und 2009 unter die Arme gegriffen und sie mit Kapitalhilfen von insgesamt 18,2 Milliarden Euro gerettet. Die Finanzagentur des Bundes teilte mit, die Unicredit habe bei einem beschleunigten Platzierungsverfahren alle übrigen Interessenten überboten – und zwar mit großem Abstand, wie das Finanzministerium ergänzte. Der Kaufpreis dieses Pakets lag den Angaben zufolge bei 13,20 Euro je Aktie, was einen Gesamterlös von 702 Millionen Euro ergibt. Dieser fließt in den Finanzmarktstabilisierungsfonds. Die Commerzbank-Aktien waren am Dienstag mit einem Kurs von 12,60 Euro aus dem Handel gegangen.

“Mit diesem ersten Teilverkauf der Beteiligung wird der Abschluss der erfolgreichen Stabilisierung der Bank und somit der Ausstieg des Bundes eingeläutet”, sagte Finanzagentur-Chefin Eva Grunwald. Von dem Unicredit-Einstieg wurde die Bundesregierung jedoch nach Angaben des Finanzministeriums überrascht. “Es gab vorab kein konkretes Angebot”, sagte eine Ministeriumssprecherin. Das Verkaufsverfahren sei offen für alle Investoren gewesen. “Der Bund wird jetzt erstmal die neue Situation analysieren.”

(Bericht von Tom Sims, Giulia Segreti, Valentina Za, John O’Donnell, Sabine Wollrab, Christian Krämer, Rene Wagner und Anika Ross, bearbeitet von Jörn Poltz. Redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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